Heft 11/2024

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"Blickpunkt Dienstleistung" Heft 11/24 - Inhalt

  • Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit und Zufriedenheit der Mitarbeiter

  • Dr. Alexander Bissels und Kira Falter Die Überlassungshöchstdauer in der Arbeitnehmerüberlassung: Erneut ein Fall für den EuGH!

  • Ingrid Hofmann und Sonja Heinrich unter den einflussreichsten Frauen der Branche weltweit

  • IAB-Arbeitsmarktbarometer: Flaute hält an

  • Hays Fachkräfte-Index Q3/2024: Stellengesuche im zweiten Quartal in Folge rückläufig

  • Erste Ausgabe des Global Talent Barometer der ManpowerGroup veröffentlicht – Befragung von Arbeitnehmenden bietet neue Einsichten

  • Betriebe beschäftigen ukrainische Geflüchtete vor allem in einfachen Tätigkeiten

  • Swiss Staffingindex: Druck auf Arbeitsmarkt verschärft sich

  • KI-Qualifizierungslücke in deutschen Unternehmen

  • Bundesarbeitsgericht: Arbeitnehmerüberlassung – Konzernprivileg

Leseprobe

Dr. Alexander Bissels und Kira Falter

Die Überlassungshöchstdauer in der Arbeitnehmerüberlassung: Erneut ein Fall für den EuGH!

Seit dem 01.04.2017 gilt – zur Konkretisierung des Merkmals "vorübergehend" – eine grundsätzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten (§ 1 Abs. 1 S. 4, Abs. 1b AÜG). Das Gesetz sieht in einem komplexen System zahlreiche Möglichkeiten vor, diese zu verlängern (oder zu verkürzen), insbesondere durch einen Tarifvertrag der jeweiligen Einsatzbranche oder aufgrund von kundenseitig geschlossenen Betriebsvereinbarungen.

In diesem Zusammenhang sind inzwischen zahlreiche Rechtsfragen vom EuGH und BAG geklärt worden. Insbesondere steht fest, dass die Rechtsgrundlagen zur Verlängerung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer nach § 1 Abs. 1b S. 3, 5 AÜG verfassungs- und europarechtskonform sind und die Verlängerung der Überlassungshöchstdauer auf bis zu 48 Monate wirksam ist (vgl. BAG v. 14.09.2022 – 4 AZR 83/21).

Dennoch ist die Überlassungshöchstdauer jüngst erneut zum (gerichtlichen) Streitfall geworden, nämlich hinsichtlich der Frage, wie mit Einsatzzeiten zur Bestimmung der Überlassungshöchstdauer umzugehen ist, wenn:

- der Zeitarbeitnehmer an ein Kundenunternehmen überlassen wird,

- ein Betriebsübergang auf Kundenseite stattfindet und

- der Zeitarbeitnehmer – wie vorher an den Veräußerer, aber in der Regel auf Grundlage eines neu geschlossenen Arbeitnehmerüberlassungsvertrages – an den Erwerber (nahtlos) weiter überlassen wird.

Mit einem solchen Fall hat sich zunächst das LAG Hamm und jüngst das BAG befassen müssen.

I. Zusammenfassung der Entscheidung

Der klagende Zeitarbeitnehmer wurde – vereinfacht dargestellt – seit dem 16.06.2017 an die C-AG, ein Produktionsunternehmen, überlassen. Zum 01.07.2018 fand bei dieser ein Betriebsübergang auf die Beklagte statt. Der Zeitarbeitnehmer wurde im Rahmen des mit dem Personaldienstleister bestehenden Arbeitsverhältnisses durchgängig bis zum 06.04.2022 auf demselben Arbeitsplatz als Kommissionierer zunächst bei der C-AG und sodann bei der Beklagten eingesetzt und reklamiert nun die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses wegen der Überschreitung der maßgeblichen Überlassungshöchstdauer, wobei streitig ist, ob diese wirksam auf 48 Monate verlängert wurde. Dabei berief sich der Kläger auf die Einsatzzeiten ab dem 16.06.2017. Das Produktionsunternehmen als Betriebsveräußerer (und "Erstentleiher") und die Beklagte als Betriebserwerberin (und "Zweitentleiherin") seien – so der Kläger – im Sinne des Gesetzes als derselbe Entleiher anzusehen.

Die Beklagte vertritt – insoweit wenig überraschend – die gegenteilige Auffassung. Im Fall eines Betriebsübergangs des Einsatzbetriebs auf einen anderen Inhaber beginne die Überlassungshöchstdauer neu zu laufen. Dies gelte auch dann, wenn der Zeitarbeitnehmer nach dem Übergang des Betriebs unverändert auf demselben Arbeitsplatz eingesetzt werde.

Das LAG Hamm gab der Klage statt (Urt. v. 18.10.2023 – 10 Sa 353/23) und folgte damit der vom Zeitarbeitnehmer vertretenen Auffassung

Ein Betriebsübergang gem. § 613a BGB führt – jedenfalls bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs – zumindest nach bislang herrschender Ansicht (vgl. dazu: Schüren/Hamann, § 1 AÜG Rn. 311) dazu, dass die Überlassungshöchstdauer für einen bei dem Veräußerer und sodann bei dem Erwerber weiterhin eingesetzten Zeitarbeitnehmer erneut und ohne Anrechnung der Einsatzzeiten bei dem Veräußerer ausgeschöpft werden darf. Eine Anrechnung oder Fortschreibung der bei dem Veräußerer (= "Erstentleiher) zurückgelegten Überlassungsdauer findet bei dem Erwerber (= "Zweitentleiher") nicht statt. Hintergrund ist, dass nach der ganz überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur ein unternehmens- und kein betriebsbezogener formeller Entleiherbegriff gilt (vgl. nur: Bissels/Falter, ArbR 2017, 5). Bei einem Betriebsübergang findet ein Rechtsträgerwechsel statt. Der Erwerber ist folglich ein anderer "Entleiher" als der Veräußerer – die Überlassungshöchstdauer beginnt bei Null und kann grundsätzlich neu ausgeschöpft werden. Dies gilt grundsätzlich auch, wenn der Zeitarbeitnehmer nach dem Betriebsübergang von dem Erwerber auf demselben Arbeitsplatz beschäftigt wird, auf dem er bereits vor dem Betriebsübergang von dem Veräußerer eingesetzt worden ist.

Diese Ansicht ist vom LAG Hamm aus europarechtlichen Erwägungen – überraschenderweise – zumindest "angezählt" worden.

Zunächst führt das Gericht – insoweit richtig und überzeugend – aus, dass der auf Seiten des beklagten Kundenunternehmens stattgefundene Betriebsteilübergang nicht unmittelbar zu einem Übergang des Arbeitsverhältnisses des klagenden Zeitarbeitnehmers nach § 613a BGB führt. Betroffen von einem Betriebsübergang sind nämlich grundsätzlich nur die Arbeitsverhältnisse der bei dem Veräußerer beschäftigten Stammarbeitnehmer, die nun qua Gesetz auf den Erwerber übergehen, nicht aber die Arbeitsverhältnisse der bei einem Dritten, nämlich bei einem Personaldienstleister angestellten Zeitarbeitnehmer. Dies gilt nach Auffassung des LAG Hamm auch unter Berücksichtigung einer Entscheidung des EuGH vom 21.10.2010 (Rs. C-242/09), die zur konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung ergangen ist und in der der EuGH einen „nichtvertraglichen Arbeitgeber“ anerkennt.

Selbst bei einer Übertragung des Urteils auf Fälle außerhalb der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung würde – so das LAG Hamm – die geforderte Weitergewährung geltender Arbeitsbedingungen keinen Arbeitgeberwechsel nach sich ziehen. Unmittelbare Wirkungen könne § 613a BGB nur im Verhältnis des klagenden Zeitarbeitnehmers zu seinem Arbeitgeber, nämlich dem Personaldienstleister, entfalten. Zwischen dem Kläger und dem Kunden habe aber zu keinem Zeitpunkt ein Arbeitsverhältnis bestanden, so dass ein solches nicht habe übergehen können; erst recht werde ein solches neues Arbeitsverhältnis durch den Betriebsübergang nicht begründet. Darüber hinaus verbiete es § 613a BGB dem Erwerber nicht, im Anschluss an den Betriebsübergang seinerseits frei darüber zu entscheiden, ob und mit welchem Personaldienstleister er zukünftig die Aufgaben bewältigen wolle. § 613a BGB verfolge nicht den Zweck, ihm außerhalb bestehender Arbeitsverhältnisse die Fortsetzung des Vertrages zu einem Zeitarbeitsunternehmen aufzubürden.

Das LAG Hamm geht allerdings über diese Erwägungen hinaus und stellt fest, dass es § 1 Abs. 1b AÜG bei einer richtlinienkonformen Auslegung gebiete, die Einsatzzeiten des klagenden Zeitarbeitnehmers seit dem 16.06.2017 anzurechnen, wenn – wie vorliegend – der Betriebsübergang auf Seiten des Kunden gerade nicht zu einer Zäsur hinsichtlich des Einsatzes geführt habe, sondern die bisherige Tätigkeit tatsächlich nahtlos, nämlich bei dem beklagten Erwerber, fortgesetzt werde. Die Wertung von § 1 Abs. 1b AÜG zeige, dass durch einen bloß formalen Wechsel der beteiligten Arbeitgeber die Überlassungshöchstgrenzen nicht umgangen werden dürften.

Zwar gehe – so das LAG Hamm – das BAG im Rahmen des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG weiter ebenfalls von einem streng formellen Arbeitgeberbegriff aus (Urt. v. 05.04.2023 – 7 AZR 224/22) und stelle gerade nicht auf die Tätigkeit im Betrieb ab, jedoch sei der dort zu beurteilende Begriff der Vorbeschäftigung nach § 14 TzBfG nicht gleichzusetzen mit der Überlassungsdauer nach dem AÜG. Das BAG habe zu § 1 Abs. 1 b S. 1 AÜG sodann geurteilt, dass die Überlassungsdauer arbeitnehmer- und nicht arbeitsplatzbezogen zu bestimmen sei. Das BAG habe dazu ausgeführt, dass es auf die Dauer der Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Kunden ankomme (vgl. BAG v. 05.04.2023 – 7 AZR 224/22, Rn. 19 unter Verweis auf BAG v. 14.09.2022 – 4 AZR 26/21, Rn. 14 ff.). Diese Wendung wiederum beziehe sich auf die vor dem Beschluss des EuGH vom 17.03.2022 (Rs. C-232/20) noch streitige und nunmehr geklärte Frage, ob wegen des nur vorübergehenden Charakters der Zeitarbeit die Berechnung der Überlassungshöchstdauer arbeitsplatz- oder arbeitnehmerbezogen erfolgen müsse. Geklärt sei nunmehr, dass ein etwaiger Dauerbedarf des Kunden auf einem bestimmten Arbeitsplatz dem Merkmal vorübergehend nicht entgegenstehe. Eine Aussage darüber, ob es auf einen formellen Arbeitgeberbegriff ankomme, sei damit allerdings nicht getroffen worden.

Der klagende Zeitarbeitnehmer sei – so das LAG Hamm – bereits seit dem 16.06.2017 faktisch auf einund demselben Arbeitsplatz tätig gewesen. Durch den Betriebsübergang zum 01.07.2018 habe sich tatsächlich nichts für ihn verändert. Auch die Beklagte berufe sich nicht etwa auf veränderte Vertragsbedingungen. Der Schutzzweck des § 1 Abs. 1b AÜG und der Zeitarbeitsrichtlinie 2008/104/EG verlange, diese Beschäftigungsdauer anzurechnen, da das Abstellen auf einen formalen Entleiherbegriff zwar für die Entstehung bzw. den rechtlichen Übergang eines     (...)



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