Heft 07 und 08/2023

Heft Juli und August 2023

"Blickpunkt Dienstleistung" Heft 07 und 08/23 - Inhalt

  • Dr. Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven Ein Sturm im Wasserglas! Oder: das BAG bestätigt die Wirksamkeit der Tarifverträge der Zeitarbeit unter Berücksichtigung des zu wahrenden Gesamtschutzes!

  • Die steigende Knappheit an Arbeitskräften bremst das Beschäftigungswachstum

  • DEKRA Arbeitsmarktreport 2023 Beste Chancen für Fach- und Arbeitskräfte

  • Rechtsanwalt Christian Andorfer und Rechtsanwältin Tseja Tsankova-Herrtwich Wie berechnet man die Überlassungshöchstdauer?

  • IAB-Stellenerhebung für das zweite Quartal 2023: Rund 10 Prozent weniger offene Stellen als ein Jahr zuvor

  • Gehaltsreport 2023 der TEKATH Personalberatung Tabuthema Gehalt: Warum Transparenz und Offenheit dringend nötig sind

  • Swiss Staffingindex: Arbeitskräftemangel belastet Personaldienstleister

  • Dr. Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven Verlängerung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer - nun auch mit dem höchstrichterlichen Segen aus Erfurt!

  • Rechtsanwalt Christian Andorfer und Rechtsanwältin Tseja Tsankova-Herrtwich Wann haften Verleiher für ihr Personal - Urteil des LG Berlin

  • Amadeus FiRe Konzern – Halbjahresfinanzbericht 2023

  • ManpowerGroup Arbeitsmarktbarometer für Q3/2023 Arbeitsmarkt im Aufwärtstrend Einstellungsabsichten nehmen deutschlandweit deutlich zu

  • Bundesarbeitsgericht: Offene Videoüberwachung - Verwertungsverbot

  • BAP Job-Navigator 7/2023: "Halbjahresvergleich" Jobangebot erreicht im ersten Halbjahr 2023 neuen Höchststand

  • 2. Quartal 2023: Anstieg der Erwerbstätigkeit setzt sich fort

  • Arbeit statt Badesee: Ferienjobs und ihre arbeitsrechtlichen Besonderheiten

Leseprobe

Dr. Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven

Ein Sturm im Wasserglas! Oder: das BAG bestätigt die Wirksamkeit der Tarifverträge der Zeitarbeit unter Berücksichtigung des zu wahrenden Gesamtschutzes!

Das BAG musste im sog. Gesamtschutzverfahren entscheiden, ob durch die Tarifverträge der Zeitarbeit vom Gleichstellungsgrundsatz abgewichen werden kann – und hat dies im Ergebnis unter Berücksichtigung der Vorgaben des EuGH bejaht. Damit ist grundsätzlich geklärt, dass die Tarifwerke BAP/DGB und iGZ/DGB europarechtskonform sind und eine wirksame und taugliche Grundlage darstellen, equal pay und equal treatment abzubedingen. Der teilweise befürchtete und von der sog. Däubler- Kampagne vorhergesagte "Donnerhall" aus Erfurt ist damit – glücklicherweise – ausgeblieben.

I. Hintergrund

Worum ging es in dem Rechtsstreit überhaupt? Als gesetzlicher Grundfall wird bekanntermaßen angeordnet, dass der an einen Kunden überlassene Arbeitnehmer ab dem ersten Tag des Einsatzes einen Anspruch auf die wesentlichen Arbeitsbedingungen (einschließlich des Entgelts) hat, die einem vergleichbaren Stammbeschäftigten im Betrieb des Kunden gewährt werden (sog. equal pay-/equal treatment- Grundsatz gem. § 8 Abs. 1 S. 1 AÜG). Davon kann durch einen Tarifvertrag oder eine Bezugnahme darauf abgewichen werden (§ 8 Abs. 2 S. 1, 3 AÜG). In der Praxis stellt diese gesetzliche Ausnahme bekanntermaßen die Regel dar; ca. 98% der Personaldienstleister machen davon Gebrauch. Für den Ausschluss des Gleichstellungsgrundsatzes hinsichtlich des Entgelts hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.04.2017 die Möglichkeit einer Abbedingung eingeschränkt: diese ist nur noch für die ersten neun Monate einer Überlassung des Zeitarbeitnehmers an einen Kunden möglich (§ 8 Abs. 4 S. 1 AÜG), es sei denn, es findet ein sog. Branchenzuschlagstarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis des überlassenen Zeitarbeitnehmers Anwendung, der die Anforderungen i.S.v. § 8 Abs. 4 S. 2 AÜG erfüllt.

Dass die gesetzlichen Bestimmungen des AÜG und die darauf fußenden Tarifverträge, insbesondere der Zeitarbeit (BAP/DGB und iGZ/DGB), mit Europarecht in Einklang stehen, wurde in der Vergangenheit in Abrede gestellt (vgl. Däubler, Überlegungen zu einer Klage auf Entgeltnachzahlung für Leiharbeitnehmer vom 28.05.2017). Sollte dies tatsächlich der Fall sein, wären – analog zur CGZP (vgl. BAG v. 13.03.2013 – 5 AZR 954/11, DB 2013, 1361; dazu Bissels, ArbRB 2013, 242 ff.) – zumindest Szenarien nicht ausgeschlossen, die auf eine (mehr oder weniger flächendeckende) Gleichstellung von Zeitarbeitnehmern, insbesondere hinsichtlich des Entgelts (equal pay), hinausliefen.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich auf eine Vorlage des BAG (Beschl. v. 16.12.2020 – 5 AZR 143/19 (A); vgl. dazu: Bissels/Falter, DB 2021, 2223) der EuGH inzwischen zu den europarechtlichen Anforderungen aus der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über Leiharbeit (nachfolgend kurz auch: „RL“ genannt) geäußert hat, die beachtet werden müssen, wenn und soweit der Gleichstellungsgrundsatz durch einen Tarifvertrag (wirksam) abbedungen werden soll (Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21).

Dabei stellte der EuGH vor allem fest, dass der Ausschluss des Gleichstellungsgrundsatzes, insbesondere hinsichtlich des Entgelts, durch einen Tarifvertrag für den Zeitarbeitnehmer einen Nachteil darstellt, der durch einen geeigneten Vorteil an einer anderen Stelle ausgeglichen werden muss, um damit den von der RL verlangten Gesamtschutz hinreichend umzusetzen. Der Ausgleich muss sich dabei auf die in Art. 3 Abs. 1 lit. f) RL definierten wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, nämlich die Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub, arbeitsfreie Tage und/oder das Arbeitsentgelt, beziehen.

Ein argumentativer „Anker“ für einen solchen Vorteil, den der EuGH in diesem Zusammenhang aufzeigt und der sich in den Schlussanträgen des Generalanwalts nicht wiederfindet, ist, dass das von dem Personaldienstleister gezahlte Entgelt in der Zeit zwischen den Überlassungen (angelegt in Art. 5 Abs. 2 RL) – sei es aufgrund eines unbefristeten oder befristeten Arbeitsvertrags mit dem Zeitarbeitnehmer – bei der Beurteilung dieses Gesamtschutzes nach Art. 5 Abs. 3 RL als Ausgleich berücksichtigungsfähig ist. Die Zahlung der Vergütung in einsatzfreien Zeiten sehen § 11 Abs. 4 S. 2 AÜG und die Tarifwerke BAP/DGB und iGZ/DGB vor. Ob dieser Umstand jedoch auch hinreichend ist, um tatsächlich eine Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz zu begründen bzw. zu legitimieren, stand damit noch nicht fest.

II. Zusammenfassung des Urteils des BAG vom 31.05.2023

Nach der Entscheidung des EuGH vom 15.12.2022 war vielmehr wieder das BAG als vorlegendes Gericht am Zug, das am 31.05.2023 das Urteil aus Luxemburg zum Gesamtschutz in das nationale Recht "übersetzte" und auf den konkreten Fall anwendete. Diesem lag dabei folgender Sachverhalt zugrunde: 

Der klagende Zeitarbeitnehmer X war von Januar bis April 2017 bei dem beklagten Personaldienstleister Y im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrags beschäftigt. X wurde dabei einem Unternehmen des Einzelhandels als Kommissionierer überlassen. Nach einem (insoweit einschlägigen) Tarifvertrag für Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern war vergleichbaren, unmittelbar von dem Einsatzunternehmen angestellten Arbeitnehmern ein Stundenlohn i.H.v. 13,64 EUR brutto zu zahlen. Das für das Arbeitsverhältnis zwischen X und Y geltende Tarifwerk iGZ/DGB wich jedoch von dem gesetzlich geregelten Grundsatz der Gleichstellung, u.a. in Bezug auf das Arbeitsentgelt, ab. Daher erhielt X (mitgliedschaftlich in ver.di organisiert) lediglich ein (tarifliches) Bruttoentgelt i.H.v. 9,23 EUR pro Stunde.

X erhob bei dem ArbG Würzburg Klage auf Zahlung von 1.296,72 EUR als Ersatz der Differenz zwischen der ihm gezahlten und der vergleichbaren, unmittelbar vom Einsatzunternehmen eingestellten Mitarbeitern gewährten Vergütung und machte geltend, dass die einschlägigen Bestimmungen des AÜG und des Tarifvertrags der Zeitarbeit (hier: iGZ/DBG) gegen Art. 5 RL verstießen. Die Beklagte meint, aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit von Personaldienstleister und Zeitarbeitnehmer schulde sie nur die für den überlassenen Mitarbeiter vorgesehene tarifliche Vergütung.

Nach der erstinstanzlichen Abweisung der Klage durch das ArbG Würzburg (Urt. v. 08.05.2018 – 2 Ca 1248/17) ging der unterlegene X in die Berufung beim LAG Nürnberg, das diese zurückwies (Urt. v. 07.03.2019 – 5 Sa 230/18). Nach Vorlage an den EuGH und dessen Urteil vom 15.12.2022 hat das BAG über die von X eingelegte Revision am 31.05.2023 entschieden und diese – aus Sicht der Branche hoch erfreulich – endgültig zurückgewiesen (Az. 5 AZR 143/19).

Der 5. Senat führt in der inzwischen vorliegenden Pressemitteilung zu der Entscheidung vom 31.05.2023 wie folgt aus:

Von dem Grundsatz, dass Zeitarbeitnehmer für die Dauer einer Überlassung Anspruch auf das gleiche Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer des Kunden haben („equal pay“), könne nach § 8 Abs. 2 AÜG ein Tarifvertrag „nach unten“ abweichen – mit der Folge, dass das Zeitarbeitsunternehmen dem überlassenen Mitarbeiter nur die niedrigere tarifliche Vergütung zahlen müsse. Ein entsprechendes Tarifwerk habe der iGZ mit ver.di geschlossen. Dieses genüge auch den unionsrechtlichen Vorgaben.

Das BAG begründet dies wie folgt: aufgrund des wegen der beiderseitigen, übereinstimmenden Tarifgebundenheit von Zeitarbeitsunternehmen und -arbeitnehmer auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findenden Tarifwerks von iGZ und ver.di sei die Beklagte nach § 8 Abs. 2 S. 2 AÜG und § 10 Abs. 4 S. 1 AÜG a.F. nur verpflichtet gewesen, die tarifliche Vergütung zu zahlen. Dieses Tarifwerk entspreche – jedenfalls im Zusammenspiel mit den gesetzlichen Schutzvorschriften für Zeitarbeitnehmer – den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 RL.

Treffe der Sachvortrag der Klägerin zum Entgelt vergleichbarer Stammarbeitnehmer bei dem Kunden zu, habe diese zwar einen Nachteil erlitten, weil sie eine geringere Vergütung erhalten habe, als sie erhalten hätte, wenn sie unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz von dem entleihenden Unternehmen eingestellt worden wäre. Eine solche Schlechterstellung lasse aber Art. 5 Abs. 3 RL ausdrücklich zu, sofern dies unter „Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer“ erfolge. Dazu müssten nach den Vorgaben des EuGH Ausgleichsvorteile eine Neutralisierung der Ungleichbehandlung ermöglichen. Ein möglicher Ausgleichsvorteil könne nach der Rechtsprechung des EuGH sowohl bei unbefristeten als auch befristeten Zeitarbeitsverhältnissen die Fortzahlung des Entgelts in überlassungsfreien Zeiten sein. Anders als in einigen anderen europäischen (...)



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