Dr.
Alexander Bissels
Anwendung der
Tarifverträge der Zeitarbeit auf sog. Mischbetriebe
Bislang ist hoch umstritten, ob sog. Mischbetriebe unter den
Anwendungsbereich der Tarifverträge der Zeitarbeit fallen und ob
in den Arbeitsverträgen der dort tätigen und teilweise
überlassenen Arbeitnehmer durch eine Bezugnahme auf diese in
letzter Konsequenz wirksam von der Anwendung des equal
pay-Grundsatzes abweichen können. Das LSG Hamburg hat dies
jüngst bejaht (Urt. v. 23.09.2015 – L 2 AL 64/13).
I. Entscheidung des LSG Hamburg
Das LSG Hamburg geht davon aus, dass auch ein Unternehmen in den
Geltungsbereich des Tarifvertrages fällt, das nur in einem sehr
geringem Umfang Personaldienstleistungen in Form von Zeitarbeit
erbringt. Der Wortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 3 S. 3 AÜG lasse dabei
noch offen, wie das Tatbestandsmerkmal "im
Geltungsbereich" eines Tarifvertrags zu verstehen sei. Dieses
bedürfte deshalb der Auslegung.
§ 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG entspreche dabei vergleichbaren
tarifdispositiven Regelungen, wie sie etwa in § 622 Abs. 4 S. 2
BGB, enthalten seien. Sinn und Zweck derartiger Vorschriften sei
es, den Besonderheiten einzelner Wirtschaftszweige und
Beschäftigtengruppen Rechnung zu tragen und es sowohl
tarifgebundenen als auch tarifungebundenen Arbeitsvertragsparteien
zu ermöglichen, das Arbeitsverhältnis durch tarifvertragliche
Regelungen zu gestalten, die die Vermutung in sich trügen, dass
sie die Arbeitsbedingungen sachgerecht regelten, dabei den
Interessen beider Seiten gerecht würden und keiner Seite ein
unzumutbares Übergewicht vermittelten. Diese Zielsetzung liege
auch der durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt erfolgten Neufassung des § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG
zugrunde. Dies folge aus der Gesetzesgeschichte der Vorschrift.
Die Möglichkeit für Personaldienstleister, durch für sie
geltende Tarifverträge vom Gleichstellungsgebot abzuweichen,
sollte es den Tarifvertragsparteien ermöglichen, die
Arbeitsbedingungen flexibel zu gestalten und beispielsweise
Pauschalierungen beim Arbeitsentgelt zuzulassen und die Leistungen
für Zeiten des Verleihs und Nichtverleihs in einem Gesamtkonzept
zu regeln. Ein Wille des Gesetzgebers oder der Tarifparteien, dass
in den Geltungsbereich der von ihnen ausgehandelten Tarifverträge
nur solche Mischbetriebe fallen sollten, die arbeitszeitlich
überwiegend Arbeitnehmerüberlassung betrieben, sei weder in den
Regelungen des AÜG noch denen der TV BZA/DGB zum Ausdruck
gekommen. Es gebe auch keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte
dafür, dass ein solcher Wille existiert habe oder existiere. Eher
treffe das Gegenteil zu. Hätte der Gesetzgeber im Interesse eines
weitergehenden Schutzes der Zeitarbeitnehmer Mischbetriebe, die
arbeitszeitlich nicht überwiegend Arbeitnehmerüberlassung
betrieben, von der Möglichkeit der arbeitsvertraglichen
Inbezugnahme der Zeitarbeitstarifverträge ausschließen wollen,
hätte es nahegelegen, deren Anwendung für nicht tarifgebundene
Parteien entsprechend zu regeln. Dies sei jedoch nicht geschehen.
Aus dem Tarifwerk BZA/DGB ließen sich keine Anhaltspunkte für
einen Willen der Tarifvertragsparteien ableiten, dass diese die
Absicht besessen hätten, Mischbetriebe, deren Arbeitnehmer
arbeitszeitlich nicht überwiegend im Bereich der
Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt würden, im Falle ihrer
Tarifbindung vom fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge
auszunehmen.
Auch aus dem Grundsatz der Tarifeinheit könnten keine
abweichenden Ableitungen getroffen werden. Danach solle in Fällen
der Tarifkonkurrenz (beiderseitige Tarifbindung des Arbeitgebers
und des Arbeitnehmers an mehr als einen Tarifvertrag) oder der
Tarifpluralität (Bindung des Arbeitgebers an mehr als einen
Tarifvertrag, Bindung des Arbeitnehmers je nach Tarifgebundenheit
an unterschiedliche Tarifverträge, an die auch der Arbeitgeber
gebunden ist) nach dem Grundsatz der Spezialität der dem Betrieb
räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten
stehende und deshalb den Eigenarten und Erfordernissen des
Betriebs am besten Rechnung tragende Tarifvertrag den anderen
Tarifvertrag verdrängen. Der Grundsatz der Tarifeinheit besage,
dass in jedem Betrieb grundsätzlich für alle in diesem Betrieb
begründeten Arbeitsverhältnisse nur ein Tarifvertrag anzuwenden
sei. Diese Rechtsprechung habe das BAG (vgl. Urt. v. 07.07.2010
– 4 AZR 549/08) zumindest für die Fälle der Tarifpluralität
aufgegeben: die Rechtsnormen eines Tarifvertrages gölten nach den
§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG in den jeweiligen von seinem
Geltungsbereich erfassten Arbeitsverhältnissen unmittelbar und
zwingend. Diese Bindung werde nicht (...)
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