Dr.
Alexander Bissels
Die
Tarifverträge zur Zahlung einer Inflationsausgleichprämie in der
Zeitarbeitsbranche – Überblick und Antworten für die Praxis
Die
sog. Inflationsausgleichsprämie nach § 3 Nr. 11c) EStG
ermöglicht es Arbeitgebern, Arbeitnehmern im Zeitraum vom
26.10.2022 bis zum 31.12.2024 zum Zweck der Abmilderung der
gestiegenen Verbraucherpreise bis zu 3.000,00 EUR als steuerund
abgabenfreie Sonderleistung zusätzlich zum ohnehin geschuldeten
Arbeitslohn zu zahlen. Eine taugliche Rechtsgrundlage für die
Gewährung der Inflationsausgleichsprämie kann ein Tarifvertrag
sein. Von dieser Regelungsmöglichkeit ist inzwischen in
zahlreichen Branchen Gebrauch gemacht worden. Dies gilt auch für
die Zeitarbeit. Nachfolgend werden die grundsätzlichen Strukturen
der tariflichen Bestimmungen zur Zahlung einer
Inflationsausgleichsprämie und die wesentlichen, für die Praxis
bei deren Anwendung relevanten Aspekte dargestellt. Dies erfolgt
exemplarisch für den M+EBereich.
I.
Einleitung
Im
Rahmen der Ende 2022 zwischen BAP, iGZ und der
DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit[1] geführten
Tarifvertragsverhandlungen stand – neben einer linearen
Lohnerhöhung – die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie
weit auf oben auf der Forderungsliste der Gewerkschaften. Die
Tarifvertragsparteien konnten sich zwar im Dezember 2022 auf eine
Anpassung der tariflichen Vergütung, jedoch nicht auf die
Gewährung einer Inflationsausgleichsprämie verständigen. Damit
war diese Frage allerdings nicht erledigt, sondern die
Tarifvertragsparteien haben diese lediglich „geparkt“, indem
den an den Verhandlungen beteiligten DGB-Gewerkschaften für die
jeweils mit BAP und iGZ bereits abgeschlossenen
Branchenzuschlagstarifverträge[ 2] ein Sonderkündigungsrecht
eingeräumt wurde, u.a. auch für den mit der IG Metall
vereinbarten Tarifvertrag über Branchenzuschläge für
Arbeitnehmerüberlassungen in der Metall- und Elektroindustrie
(kurz: TV BZ ME).
Branchenzuschlagstarifverträge
ermöglichen eine Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz
hinsichtlich des Entgelts (sog. equal pay) über den vollendeten
neunten Einsatzmonat des Zeitarbeitnehmers bei einem Entleiher
hinaus (§ 8 Abs. 4 AÜG); sie sehen die Zahlung von
Branchenzuschlägen vor, die gestaffelt nach der Einsatzdauer von
dem Verleiher gewährt werden müssen (i.H.v. 15% des
Stundentabellenentgelts des Entgelttarifvertrages auf der ersten
Stufe, sich dann sukzessive steigernd bis zur sechsten Stufe nach
dem vollendeten 15. Monat des Einsatzes auf 65%).
U.a.
der IG Metall wurde damit die Möglichkeit eingeräumt, den mit
dem BAP und dem iGZ geschlossenen TV BZ ME im Jahr 2023 zu
kündigen – mit der Folge, dass dieser nach der Erklärung des
Scheiterns der Verhandlungen mit Ablauf der dreimonatigen
Kündigungsfrist ohne Nachwirkung ausläuft. Als Konsequenz dieses
Szenarios wäre ab dem 10. Einsatzmonat der gesetzliche
Gleichstellungsgrundsatz hinsichtlich des Entgelts (equal pay) zu
beachten gewesen; diese Folge war gleichzeitig das
gewerkschaftliche Druckmittel, um über eine
Inflationsausgleichsprämie weiter verhandeln zu können.
Von
dem ihr eingeräumten Kündigungsrecht hat die IG Metall Gebrauch
gemacht und das Scheitern der Verhandlungen erklärt. Die
Tarifvertragsparteien haben sich dennoch – unter dem 16.06.2023
und damit kurz vor dem Ablauf der Kündigungsfrist am 30.06.2023
– verständigt[ 3]. In der getroffenen „Paketlösung“ ist
vorgesehen, dass der gekündigte TV BZ ME mit Wirkung zum
01.07.2023 wieder in Kraft gesetzt wird (mit der Änderung, dass
der Branchenzuschlag ab dem 01.09.2023 nicht erst ab der sechsten
Woche des Einsatzes des Zeitarbeitnehmers in einem M+EBetrieb,
sondern bereits ab dem ersten Einsatztag gezahlt wird). Zudem
wurde ergänzend ein Tarifvertrag Inflationsausgleichsprämie zum
Tarifvertrag über Branchenzuschläge für
Arbeitnehmerüberlassungen in der Metall- und Elektroindustrie
(kurz: TV IAP ME) geschlossen, in dem die Zahlung einer
Inflationsausgleichsprämie von maximal 2.300,00 EUR festgelegt
wird[4]. Dabei ist keine Einmalzahlung vorgesehen. Die
Inflationsausgleichsprämie wird gestaffelt und auf elf monatliche
Teilbeträge verteilt, nämlich für Januar 2024 mit 300,00 EUR
und für Februar bis November 2024 jeweils mit 200,00 EUR, die
für den jeweiligen Monat gezahlt werden, wenn die
anspruchsbegründenden Voraussetzungen erfüllt sind[5].
II.
Bestimmungen des TV IAP ME
1.
Geltungsbereich
In
§ 1 Abs. 1 TV IAP ME wird geregelt, dass der TV BZ ME um den TV
IAP ME ergänzt wird. In § 6 Abs. 2 TV BZ ME ist in diesem Sinne
vorgesehen, dass der TV IAP ME für die Dauer seiner Laufzeit
Bestandteil des TV BZ ME wird. Es wird damit deutlich, dass der TV
BZ ME und der TV IAP ME miteinander verzahnt werden und folglich
ein einheitliches Regelungswerk darstellen. In diesem Sinne wird
ausdrücklich klargestellt, dass für den TV IAP ME der identische
räumliche, fachliche und persönliche Geltungsbereich wie für
den TV BZ ME gilt[6]. Dieser Umstand hat zur Folge, dass der
Zeitarbeitnehmer mit Blick auf die Gewährung einer
Inflationsausgleichsprämie überhaupt nur anspruchsberechtigt
sein kann, wenn dieser – unter Berücksichtigung des fachlichen
Geltungsbereichs des TV BZ ME i.V.m. TV IAP ME – in einem
Katalogbetrieb[7] oder einem Hilfs- oder Nebenbetrieb[ 8] zu einem
Hauptbetrieb der M+E-Industrie eingesetzt wird. Als
branchenzuschlagspflichtige Kundenbetriebe der M+E-Industrie
gelten darüber hinaus Betriebe, die durch Mitgliedschaft oder
Bezugnahme in einem Firmentarifvertrag an ein regionales Tarifwerk
der M+E-Industrie gebunden sind[9]. Anders gewendet: ist der TV BZ
ME fachlich nicht einschlägig bzw. anwendbar, gilt der TV IAP ME
nicht; in diesem Fall kann der Zeitarbeitnehmer keine
Inflationsausgleichsprämie nach dem TV IAP ME erhalten.
Die
in der Praxis oftmals schwierig zu treffende Abgrenzung zwischen
einem branchenzuschlagspflichtigen und einem zuschlagsfreien
Kundenbetrieb, gerade mit Blick auf die vom TV BZ ME erfassten
Hilfs- und Nebenbetriebe, erhält vor dem Hintergrund eine neue
Brisanz und sollte vor diesem Hintergrund vertiefend geprüft und
entsprechend dokumentiert werden. Dies gilt insbesondere aus Sicht
des Verleihers, um sich gegenüber der zuständigen
Aufsichtsbehörde (Bundesagentur für Arbeit, kurz: BA) nicht
angreifbar zu machen.
2.
Anspruchsvoraussetzungen
§
2 Abs. 1 TV IAP ME stellt klar, dass zur Abmilderung steigender
Verbraucherpreise – zusätzlich zum ohnehin geschuldeten
Arbeitslohn – eine Inflationsausgleichsprämie gem. § 3 Nr.
11c) EStG nach Maßgabe der tariflichen Bestimmungen gezahlt wird.
Ein Anspruch auf die Gewährung der monatlichen
Inflationsausgleichsprämie (frühestens ab Januar 2024 bis
längstens November 2024) entsteht dem Grunde nach, wenn zwei
Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich eine
Betriebszugehörigkeit des Zeitarbeitnehmers von fünf Monaten
sowie eine Einsatzzeit von einem Monat in einem Kundenbetrieb des
Geltungsbereichs des TV BZ ME[10], jeweils zum letzten Tag des
Abrechnungsmonats[ 11].
a)
Betriebszugehörigkeit
Die
Betriebszugehörigkeit knüpft dabei an den vereinbarten Tag des
Beginns des Arbeitsverhältnisses an. Irrelevant ist dabei, ob der
Zeitarbeitnehmer an diesem Tag seine Tätigkeit für den Verleiher
tatsächlich aufnimmt bzw. nicht aufnehmen kann, z.B. da der
Beginn des Arbeitsverhältnisses auf einen Feiertag fällt.
Inaktive Zeiten während des bestehenden Arbeitsverhältnisses
sind bei der Bestimmung der Betriebszugehörigkeit ebenfalls
mitzuzählen. Dies gilt insbesondere für arbeitsfreie Wochentage
oder -enden, Urlaub, Krankheit (auch nach Ablauf des
Entgeltfortzahlungszeitraums), Abbau von Arbeitszeitguthaben aus
dem Arbeitszeitkonto, unbezahlte Freistellung oder
unentschuldigtes Fehlen.
Eine
Anrechnung der in einem in der Vergangenheit zwischen dem
Verleiher und dem Zeitarbeitnehmer bestehenden, aber beendeten
Arbeitsverhältnis geleisteten Betriebszugehörigkeit kommt nur in
Betracht, wenn eine solche ausdrücklich vereinbart wird oder –
ohne eine entsprechende Abrede – nach den allgemeinen Regelungen
ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen den
Arbeitsverhältnissen besteht. Dies ist im jeweiligen Einzelfall
unter Berücksichtigung der konkreten Begleitumstände zu
bewerten. Kein enger sachlicher Zusammenhang dürfte in der Regel
vorliegen, wenn zwischen den beiden Arbeitsverhältnissen
mindestens ein Zeitraum von mehr als zwei Monaten liegt[12].
§
3 Abs. 1 S. 2 TV IAP, der zur Bestimmung von Unterbrechungszeiten
auf § 2 Abs. 2 TV BZ ME verweist, ist für das
anspruchsbegründenden Kriterium der fünfmonatigen
Betriebszugehörigkeit nicht einschlägig. § 2 Abs. 2 TV BZ ME
bezieht sich ausschließlich auf die Bestimmung bzw. die
Unterbrechung der Einsatzdauer im Kundenbetrieb, nicht jedoch auf
die Betriebszugehörigkeit. Der Anwendungsbereich von § 2 Abs. 2
TV BZ ME wird durch die Inbezugnahme in § 3 Abs. 1 S. 2 TV IAP ME
nicht erweitert. Hätte die Betriebszugehörigkeit von dem Verweis
auf § 2 Abs. 2 TV BZ ME erfasst werden sollen, hätten die
Tarifvertragsparteien dies ausdrücklich, z.B. durch den Hinweis
auf eine „entsprechende“ Anwendung von § 2 Abs. 2 TV BZ ME,
klarstellen können und müssen.
b)
Einsatzzeit
Die
Einsatzzeit des Zeitarbeitnehmers in einem Kundenbetrieb muss
mindestens einen Monat betragen. Unter „Einsatzzeit“ dürfte
unter Berücksichtigung der Rspr. des BAG zu den
Branchenzuschlagstarifverträgen[ 13] die Zeitspanne zu verstehen
sein, in der der Zeitarbeitnehmer auf Grundlage des
Arbeitnehmerüberlassungsvertrages an den Kundenbetrieb
überlassen wird bzw. werden soll, nicht aber die Summe der Tage,
an denen er im Kunden- (...)
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