Dr.
Alexander Bissels und Dr. Jonas Singraven
13
years after – die CGZP beschäftigt weiterhin die Gerichte!
Im
Dezember 2010 (!) hat das BAG festgestellt, dass die CGZP nicht
tariffähig ist (vgl. BAG v. 14.12.2010 – 1 ABR 19/10; dazu:
Bissels, BB 2011, 893) und die von der Tarifgemeinschaft
abgeschlossenen Tarifverträge keine wirksame Grundlage
darstellen, um den Gleichstellungsgrundsatz (hinsichtlich des
Entgelts) abzubedingen. In der Folgezeit sahen sich
Zeitarbeitsunternehmen, die die CGZP-Tarifverträge angewendet
haben, Nachforderungsansprüchen ihrer Mitarbeiter und – für
die Praxis in wirtschaftlicher Hinsicht wesentlich bedeutsamer und
oftmals existenzbedrohend – der DRV konfrontiert, die
Sozialversicherungsbeiträge auf das oftmals höhere
Vergleichsentgelt der Stammbeschäftigten geltend machte. Gerade
mit Blick auf das „recht offensive“ Vorgehen der DRV mussten
zahlreiche offene Rechtsfragen von den Sozialgerichten geklärt
werden. Dies ist inzwischen durch das BSG erfolgt (vgl. BSG v.
16.12.2015 – B 12 R 11/14 R; BSG v. 18.01.2018 – B 12 R 3/16
R; BSG v. 04.09.2018 – B 12 R 4/17 R; BSG v. 27.04.2021 – B 12
R 18/19 R). Dennoch ist die gerichtliche Aufarbeitung der Causa
„CGZP“ (immer) noch nicht abgeschlossen, wie eine jüngst
veröffentliche Entscheidung des LSG Baden-Württemberg (Urt. v.
25.04.2023 – L 11 R 3007/21 WA; Vorinstanz: SG Karlsruhe v.
18.12.2014 – S 10 R 505/14) zeigt.
I.
Zusammenfassung der Entscheidung
Dem
Urteil lag zusammengefasst folgender Sachverhalt zugrunde:
Die
Klägerin war in der Rechtsform einer GmbH im Bereich der
Arbeitnehmerüberlassung tätig. Inzwischen wurde die Gesellschaft
aufgelöst. Durch Beschluss des AG Karlsruhe vom 01.03.2016 wurde
die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der
Gesellschaft mangels einer den Kosten des Verfahrens
entsprechenden Masse abgewiesen.
Grundlage
der Arbeitsverträge zwischen der Klägerin und deren
Zeitarbeitnehmern waren die Tarifverträge der CGZP. Die beklagte
DRV wandte sich mit Schreiben vom 19.10.2011 an die Klägerin und
teilte u.a. mit, es sei die Durchführung einer Betriebsprüfung
„zum Jahresende“ beabsichtigt, um die equal pay-Ansprüche der
Zeitarbeitnehmer zu ermitteln. Nach einer entsprechenden
Ankündigung fand vom 13.02.2012 bis zum 15.02.2012 die
Betriebsprüfung bei der Klägerin statt, im Rahmen derer die
individuellen equal pay-Ansprüche der Beschäftigten nicht
ermittelt werden konnten, weil aus den Lohnunterlagen nicht
ersichtlich war, an welche Kunden die Mitarbeiter verliehen bzw.
welche Tätigkeiten von diesen verrichtet wurden.
Nach
Anhörung der Klägerin erklärte die Beklagte mit Bescheid vom
13.06.2013 gegenüber der Klägerin, es ergebe sich für den
Zeitraum vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2009 eine Nachforderung in
Höhe von 646.444,89 EUR (einschließlich Säumniszuschläge in
Höhe von 133.027,50 EUR). Da das BAG die Tarifunfähigkeit der
CGZP festgestellt habe, seien die geschlossenen Tarifverträge
ungültig. Dies habe equal pay-Ansprüche der betroffenen
Beschäftigten zur Folge. Im Rahmen der Betriebsprüfung seien
keine Unterlagen vorgelegt worden, die für die Ermittlung der
equal pay-Ansprüche der überlassenen Arbeitnehmer zwingend
benötigt würden. Angaben über die Vergütung der
Stammbelegschaft bei den Kunden seien klägerischerseits nicht
eingeholt worden. Es seien – auch nicht auf die wiederholte
Aufforderung – keine Auskünfte über die Kundenbetriebe sowie
über die ausgeübten Tätigkeiten der klägerischerseits
überlassenen Arbeitnehmer erteilt worden. Aus diesem Grund sei
die Höhe der maßgeblichen Arbeitsentgelte für jeden
Zeitarbeitnehmer zu schätzen gewesen.
Gegen
den Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein, der von der DRV
zurückgewiesen wurde. Die Klägerin erhob gegen den ihr nach
eigenen Angaben am 16.01.2014 zugestellten Widerspruchsbescheid
vom 07.01.2014 am 13.02.2014 Klage bei SG Karlsruhe und führte
aus, sie habe bis zu der rechtskräftigen Entscheidung des BAG im
Dezember 2010 davon ausgehen können, dass die allgemein in der
Branche angewandten Tarifverträge der CGZP wirksam gewesen seien,
und hätte deshalb darauf vertrauen dürfen, dass – unabhängig
von der in den Arbeitsverträgen vereinbarten Ausschlussklausel
– keine Beitragsnachforderungen für zurückliegende Zeiten
geltend gemacht werden könnten. Dies auch deshalb, weil die
Beklagte selbst während des gesamten Zeitraumes, für den nunmehr
Beitragsnachforderungen geltend gemacht würden, bei ihren
turnusmäßigen Betriebsprüfungen die Anwendung dieses
Tarifvertrages akzeptiert und keine Bedenken gegen diese
Entlohnung mitgeteilt habe. Des Weiteren werde gegenüber den
Beitragsnachforderungen die Einrede der Verjährung erhoben. Im
Zeitpunkt der im Jahr 2012 durchgeführten Betriebsprüfung seien
eventuelle Beitragsnachforderungen für die Jahre bis
einschließlich 2007 bereits verjährt. Da die Klägerin bis zum
Beschluss des BAG und der anschließenden Entscheidung, mit der
dessen Rückwirkung bestätigt worden sei, gutgläubig gewesen
sei, komme eine 30-jährige Verjährungsfrist für eventuelle
Beitragsrückstände nicht in Betracht. Die jetzt berechnete
Beitragsnachforderung gehe auch hinsichtlich der Höhe eventueller
Gehaltsnachforderungen von unzutreffenden Voraussetzungen aus. Sie
unterstelle, dass die tatsächlichen Entgelte der Stammmitarbeiter
der Kunden pauschal um 24% höher gewesen seien als die
tatsächlich gezahlten Löhne, die nach dem unwirksamen
Tarifvertrag berechnet worden seien. Diese Erhöhung entspreche in
keiner Weise dem tatsächlichen Lohnniveau der vergleichbaren
Mitarbeiter der jeweiligen Kunden. Die Beklagte sei auch aus
Rechtsgründen nicht berechtigt, diese Lohndifferenzen zu
schätzen. Nach § 28 f Abs. 2 SGB IV sei eine solche Schätzung
nur zulässig, wenn den Arbeitgeber eine entsprechende
Aufzeichnungspflicht treffe. Diese bestehe bei einem wirksamen
eigenen Tarifvertrag des Arbeitgebers nicht. Während der Zeiten,
die Gegenstand des Beitragsbescheides seien, habe die Klägerin
aber noch von einem wirksamen Tarifvertrag ausgehen können, so
dass sie während dieser Zeiten nicht verpflichtet gewesen sei,
die beim Kunden geltenden Löhne im Vertrag festzuhalten. Das SG
Karlsruhe wies die Klage ab. Hiergegen legte die Klägerin
Berufung ein.
Am
28.09.2021 erließ die Beklagte einen Änderungsbescheid
(Teilabhilfe), um die Nachforderung für die verjährten Beiträge
für den Zeitraum vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2006
zurückzunehmen. Hierdurch reduzierte sich die geforderte
Nachforderung auf 495.449,83 EUR (einschließlich
Säumniszuschläge in Höhe von 101.920,00 EUR). Nach einem
gerichtlichen Hinweis gab die Beklagte ein Teilanerkenntnis mit
dem Inhalt ab, Beiträge für das Jahr 2007 nicht mehr zu erheben
und auch auf die Säumniszuschläge vollumfänglich zu verzichten.
Die Forderung verringerte sich damit auf insgesamt 267.176,53 EUR.
Eine Annahme dieses Teilanerkenntnisses durch die Klägerin
erfolgte nicht.
Die
Berufung der Klägerin hat nach Ansicht des LSG Baden-Württemberg
– über das Teilanerkenntnis der Beklagten hinaus, nach dem
nunmehr keine Beiträge und Säumniszuschläge mehr für das Jahr
2007 geltend gemacht werden – keinen Erfolg.
Da
die Beklagte am 22.02.2023 im Wege eines Teilanerkenntnisses von
der Geltendmachung von Säumniszuschlägen sowie der
Beitragserhebung für das Jahr 2007 Abstand genommen, die
Klägerin dieses Anerkenntnis jedoch nicht angenommen hat, war
hierüber im Wege des Teilanerkenntnisurteils zu entscheiden und
der angefochtene Bescheid entsprechend teilweise aufzuheben. Im
Übrigen ist der Beitragsbescheid vom 13.06.2013 in seiner jetzt
durch den Änderungsbescheid bzw. das Teilanerkenntnis gefundenen
Form rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren
Rechten.
Für
den Erlass des die Beitragsfestsetzung regelnden Verwaltungsakts
sei die Beklagte sachlich zuständig. Die Träger der
Rentenversicherung prüften bei den Arbeitgebern, ob diese ihre
Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die
im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stünden,
ordnungsgemäß erfüllten, insbesondere die Richtigkeit der
Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens
alle vier Jahre, und erließen im Rahmen der Prüfung
Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe.
Dem
Nachforderungsbescheid der Beklagten stünden nicht die
vorangegangenen, im Rahmen von Betriebsprüfungen ergangenen
Bescheide vom 10.12.2008 bzw. vom 20.02.2012 entgegen. Diese
würden keine Bindungswirkung entfalten, die eine Aufhebung nach
§§ 44 ff. SGB X erfordert hätten. Nach der ständigen
Rechtsprechung des BSG ergebe sich eine materielle Bindungswirkung
lediglich insoweit, als die Versicherungs- und/oder
Beitragspflicht (und -höhe) in der Vergangenheit im Rahmen der
Prüfung personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch
gesonderten Verwaltungsakt festgestellt worden seien. Eine – wie
hier im Wesentlichen – beanstandungsfrei verlaufene
Betriebsprüfung vermittele hingegen keinen Bestandsschutz
gegenüber einer späteren Beitragsforderung (vgl. BSG v.
18.11.2015 – B 12 R 7/14 R). Zudem habe die Beklagte in dem
Bescheid vom 20.02.2012 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die
Überprüfung der Beitragszahlung aus equal pay-Ansprüchen
gesondert erfolgen werde.
Die
Beklagte habe die Nachforderung nach entsprechender Anhörung der
Klägerin zu Recht festgesetzt. Maßgebend für die
Beitragsbemessung sei das den Arbeitnehmern nach dem
Entstehungsprinzip arbeitsrechtlich geschuldete Arbeitsentgelt,
auf das Arbeitgeber – und hier somit die Klägerin als
Verleiherin im Rahmen erlaubter Arbeitnehmerüberlassung – den
Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen habe. Der
Beitragsbemessung liege in der gesetzlichen Kranken- und
Rentenversicherung, der sozialen (...)
|